längerem vor, aber wir wagen zu hoffen, daß
dessen Verfasser Karl Willy Straub nicht zu jeder
seiner Äußerungen autorisiert war, oder daß
man sich die Freiheit nimmt, nach dem Sieg
anders darüber zu sprechen.
Denn mit diesem Buch verbindet uns Junge
nicht viel mehr als wiederum eine Negation: die
Ablehnung der architektonischen Leistungen in
den letzten zwei Dritteln des vorigen Jahrhun-
derts. Sein formelhaft befangenes Verhältnis
aber zum Heutigen kennzeichnet sich bereits
durch den Satz, mit dem die Dachform kurzer-
hand zum Symbol der Gesinnung gestempelt
wird: «Das Steildach ist so gut zum Panier der
nationalen Bewegung geworden, wie das Flach-
dach zum Aushängeschild der internationalen
Einstellung.» Eine derartig sentimentale Ge-
dankenführung verfehlt natürlich, etwa dem wun-
dervollen Bild von Wimpfen am Neckar, das die
Bedeutung der großen Dachflächen für den Zu-
sammenhalt des Stadtbildes demonstriert, ein
solches aus der engeren Heimat des Reichs-
kanzlers, nämlich einem der Städtchen an der
Salzach oder am Inn an die Seite zu stellen,
deren köstliche formale Geschlossenheit auch
ohne sichtbare Dachflächen das Gegenteil be-
weisen kann. Ein Hinweis auf die italienische
Beeinflussung dieser durchaus bodenständigen
Bauweise dürfte die Gültigkeit unseres Beispiels
in den Augen derer nicht herabmindern, die sich
nicht daran stoßen, wie sehr manche Bauten ihrer
gesinnungsverwandten Architekten auf das Vor-
bild des französischen Barocks zurückgreifen.
Die Frage der Qualität bleibt durch eine
solche Feststellung ebenso unberührt, wie durch
jenen anderen Einwand, der uns Jungen jeder
Richtung gegenüber der Baugesinnung der Pro-
fessoren Schultze-Naumburg und Schmitthenner
wichtiger erscheint: nämlich, daß ihre Erzeugnisse
bewußt oder unbewußt einem bürgerlichen Ideal
gefestigten Besitzes schmeicheln, einen Ausdruck
jener idyllisch-zufriedenen Wohlhabenheit dar-
stellen, für die unsere militanten Herzen gewiß
nicht schlagen. Das individuelle Eigenheim kann,
da es leider nur selten zu einem historisierenden
Schlößchen langt, dann nur in einem höchst per-
sönlichen Gartenlaubenstil seinen Besitzer restlos
glücklich machen, indem es so zum «Spiegel
seiner Persönlichkeit» wird und ihn fühlen läßt,
«daß er mehr ist als nur ein Rädchen im großen
Uhrwerk». Es erübrigt sich, weitere Formulierun-
gen genannten Buches zu dem Thema «Individua-
lismus oder Kollektivismus in der Architektur» zu
zitieren, um zu erhellen, wie hier die Entscheidung
gleichzeitig gegen das neugestärkte Ethos der
Gemeinschaft wie gegen den eigentlichen, im
Tiefsten unverstandenen Sinn der modernen
Architektur gefällt worden ist.
Die hunderttausend tapferen Persönlichkeiten,
die in Frankreich ihr ewiges Leben unter dem
gleichen schmucklosen Kreuzzeichen führen, sollen
in diesem Sinne das ehrfurchtgebietende Beispiel
eines typischen Massenstils von hinreißender Be-
scheidenheit vergeblich dargebracht haben? Hun-
terttausend Persönlichkeiten, die stolz darauf
sind, daß ihr braunes Hemd auf der Straße das
höhere Gemeinsame und nichts sonst ausdrückt,
sollten dafür ihren vier Wänden die ebenso sen-
timentale wie kostspielige Aufgabe zumuten, ein
steinernes Eigenkleid ihrer Seele zu sein?
Legt diese Parabel auch die Frage des Indi-
vidualismus in der Architektur nicht bis in ihre
feinsten Falten frei, so ist im Großen gesehen, mit
ihr doch der Gedanke gerechtfertigt, daß der
Instinkt für das Uniforme, das wahrhaft Sozia-
listische in der Haltung, ebenso wie der revolutio-
näre Mut in der Wahl der Mittel, die siegreiche
politische Bewegung, wenn anders sie im Kultu-
rellen folgerichtig handeln will, mit der radikalen
Architektengeneration zusammenführen müßte.
Diese hält seit Jahren die formalen Disziplinen
bereit, sie hat die Gedankengüter bearbeitet, auf
die ein Staat wie der neue sich beziehen muß und
ist deshalb immer wieder von den Spießbürgern
aller Richtungen angefeindet worden, die sie
jetzt, gemeinsam mit dem Verfasser unseres Trak-
tätchens, von der Götterdämmerung getroffen
sehen möchten. Mag man uns übelnehmen, daß
die Herausarbeitung des Nationalen, das sich
dennoch stets für unsere Herzen von selbst ver-
stand, nicht ausdrücklich genug auf dem Panier
stand: Ironie des Schicksals, daß eine spezifisch
deutsche architektonische Haltung in dieser neuen
Form zur Weltgeltung gebracht zu werden be-
gann, eine eigene Note, die das Zeug in sich
hat, wenn ungezwungene und organische Pflege
den Architekten noch dahin führt, das Ohr enger
an den geliebten Boden zu hallen, unseren natio-
nalen Charakter zu einer repräsentativen Aus-
prägung zu bringen.
Gewiß aber ist, daß kraft ihrer dem individuellen
Idyll abholden Sachlichkeit, kraft ihrer heroischen
Schlichtheit, kraft ihrer konstruktiven Glut und am
meisten kraft der Unerbittlichkeit und Reinheit
ihres Formwillens gerade die radikale Architektur
Ihren an die Spitze dieses Briefs gestellten Wor-
ten kongenial, Herr Minister, dazu fähig sein
könnte, das steinerne Denkmal einer kühnen
27
dessen Verfasser Karl Willy Straub nicht zu jeder
seiner Äußerungen autorisiert war, oder daß
man sich die Freiheit nimmt, nach dem Sieg
anders darüber zu sprechen.
Denn mit diesem Buch verbindet uns Junge
nicht viel mehr als wiederum eine Negation: die
Ablehnung der architektonischen Leistungen in
den letzten zwei Dritteln des vorigen Jahrhun-
derts. Sein formelhaft befangenes Verhältnis
aber zum Heutigen kennzeichnet sich bereits
durch den Satz, mit dem die Dachform kurzer-
hand zum Symbol der Gesinnung gestempelt
wird: «Das Steildach ist so gut zum Panier der
nationalen Bewegung geworden, wie das Flach-
dach zum Aushängeschild der internationalen
Einstellung.» Eine derartig sentimentale Ge-
dankenführung verfehlt natürlich, etwa dem wun-
dervollen Bild von Wimpfen am Neckar, das die
Bedeutung der großen Dachflächen für den Zu-
sammenhalt des Stadtbildes demonstriert, ein
solches aus der engeren Heimat des Reichs-
kanzlers, nämlich einem der Städtchen an der
Salzach oder am Inn an die Seite zu stellen,
deren köstliche formale Geschlossenheit auch
ohne sichtbare Dachflächen das Gegenteil be-
weisen kann. Ein Hinweis auf die italienische
Beeinflussung dieser durchaus bodenständigen
Bauweise dürfte die Gültigkeit unseres Beispiels
in den Augen derer nicht herabmindern, die sich
nicht daran stoßen, wie sehr manche Bauten ihrer
gesinnungsverwandten Architekten auf das Vor-
bild des französischen Barocks zurückgreifen.
Die Frage der Qualität bleibt durch eine
solche Feststellung ebenso unberührt, wie durch
jenen anderen Einwand, der uns Jungen jeder
Richtung gegenüber der Baugesinnung der Pro-
fessoren Schultze-Naumburg und Schmitthenner
wichtiger erscheint: nämlich, daß ihre Erzeugnisse
bewußt oder unbewußt einem bürgerlichen Ideal
gefestigten Besitzes schmeicheln, einen Ausdruck
jener idyllisch-zufriedenen Wohlhabenheit dar-
stellen, für die unsere militanten Herzen gewiß
nicht schlagen. Das individuelle Eigenheim kann,
da es leider nur selten zu einem historisierenden
Schlößchen langt, dann nur in einem höchst per-
sönlichen Gartenlaubenstil seinen Besitzer restlos
glücklich machen, indem es so zum «Spiegel
seiner Persönlichkeit» wird und ihn fühlen läßt,
«daß er mehr ist als nur ein Rädchen im großen
Uhrwerk». Es erübrigt sich, weitere Formulierun-
gen genannten Buches zu dem Thema «Individua-
lismus oder Kollektivismus in der Architektur» zu
zitieren, um zu erhellen, wie hier die Entscheidung
gleichzeitig gegen das neugestärkte Ethos der
Gemeinschaft wie gegen den eigentlichen, im
Tiefsten unverstandenen Sinn der modernen
Architektur gefällt worden ist.
Die hunderttausend tapferen Persönlichkeiten,
die in Frankreich ihr ewiges Leben unter dem
gleichen schmucklosen Kreuzzeichen führen, sollen
in diesem Sinne das ehrfurchtgebietende Beispiel
eines typischen Massenstils von hinreißender Be-
scheidenheit vergeblich dargebracht haben? Hun-
terttausend Persönlichkeiten, die stolz darauf
sind, daß ihr braunes Hemd auf der Straße das
höhere Gemeinsame und nichts sonst ausdrückt,
sollten dafür ihren vier Wänden die ebenso sen-
timentale wie kostspielige Aufgabe zumuten, ein
steinernes Eigenkleid ihrer Seele zu sein?
Legt diese Parabel auch die Frage des Indi-
vidualismus in der Architektur nicht bis in ihre
feinsten Falten frei, so ist im Großen gesehen, mit
ihr doch der Gedanke gerechtfertigt, daß der
Instinkt für das Uniforme, das wahrhaft Sozia-
listische in der Haltung, ebenso wie der revolutio-
näre Mut in der Wahl der Mittel, die siegreiche
politische Bewegung, wenn anders sie im Kultu-
rellen folgerichtig handeln will, mit der radikalen
Architektengeneration zusammenführen müßte.
Diese hält seit Jahren die formalen Disziplinen
bereit, sie hat die Gedankengüter bearbeitet, auf
die ein Staat wie der neue sich beziehen muß und
ist deshalb immer wieder von den Spießbürgern
aller Richtungen angefeindet worden, die sie
jetzt, gemeinsam mit dem Verfasser unseres Trak-
tätchens, von der Götterdämmerung getroffen
sehen möchten. Mag man uns übelnehmen, daß
die Herausarbeitung des Nationalen, das sich
dennoch stets für unsere Herzen von selbst ver-
stand, nicht ausdrücklich genug auf dem Panier
stand: Ironie des Schicksals, daß eine spezifisch
deutsche architektonische Haltung in dieser neuen
Form zur Weltgeltung gebracht zu werden be-
gann, eine eigene Note, die das Zeug in sich
hat, wenn ungezwungene und organische Pflege
den Architekten noch dahin führt, das Ohr enger
an den geliebten Boden zu hallen, unseren natio-
nalen Charakter zu einer repräsentativen Aus-
prägung zu bringen.
Gewiß aber ist, daß kraft ihrer dem individuellen
Idyll abholden Sachlichkeit, kraft ihrer heroischen
Schlichtheit, kraft ihrer konstruktiven Glut und am
meisten kraft der Unerbittlichkeit und Reinheit
ihres Formwillens gerade die radikale Architektur
Ihren an die Spitze dieses Briefs gestellten Wor-
ten kongenial, Herr Minister, dazu fähig sein
könnte, das steinerne Denkmal einer kühnen
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